Europäische Fischereien müssen 2021 transparent und verantwortungsbewusst verwaltet werden
Die Minister müssen die Nachhaltigkeit der Fischbestände gewährleisten – und eine offenere Entscheidungsfindung
Es ist bald wieder an der Zeit, dass die Entscheidungen zu den Fangrenzen und anderen Maßnahmen für europäische Fischereien getroffen werden. Doch bei den Zuständigen mangelt es an Verantwortlichkeit. Die Entscheidungen zu den Regeln für die Fischbestände, welche von der Europäischen Union allein verwaltet werden, folgen einem eingespielten Ablauf. Die Entscheidungsfindung in der EU leidet unter mangelnder Transparenz und wird in diesem Jahr stark von den Einschränkungen durch COVID-19 betroffen sein. Die Abläufe in den Institutionen sind jedoch im Großen und Ganzen wohlbekannt und eingespielt. Für andere Bestände hingegen wird sich der Vorgang nach dem Austritt Großbritanniens aus der EU deutlich ändern. Nach dem Brexit wird nur der kleinere Teil der Bestände von der EU allein verwaltet. Noch ist unklar, wann und wie genau die EU und Großbritannien die Verhandlungen über gemeinsam verwaltete Bestände führen und sich auf Fanggrenzen einigen werden.
In diesem Jahr sollen beide Parteien bilaterale Verhandlungen führen und Managementmaßnahmen für rund einhundert Fischbestände festlegen, wobei einige dieser Entscheidungen die Zustimmung anderer Nationen benötigen, wie z. B. Norwegens. Die EU und Großbritannien müssen gemäß den Vereinbarungen der Vereinten Nationen jährliche Verhandlungen zur Entscheidungsfindung führen, ungeachtet der Auswirkungen von Post-Brexit-Gesprächen auf die langfristigen Beziehungen zwischen beiden Parteien. Vermutlich wird sich nun unter Fischereimanagern ein jährlicher Zyklus von bi- oder multilateralen Gesprächen einspielen, in deren Verlauf auch strittige Themen besprochen werden, wie die gemeinsame Festlegung von Quoten oder die Berücksichtigung wissenschaftlicher Empfehlungen beim Aushandeln der jährlichen Fanggrenzen.
Unglücklicherweise besteht – auf beiden Seiten des Ärmelkanals – noch kaum Klarheit darüber, wie diese Abläufe aussehen sollen. Außerdem sieht es leider so aus, als würden die Entscheidungsträger noch weniger zur Rechenschaft gezogen werden, als dies bisher der Fall war. Das alles macht einen nicht nachhaltigen Fischfang nur umso wahrscheinlicher.
Großbritannien hat seinerseits deutlich gemacht, dass es hierin eine Chance sieht, die Regeln zu lockern und in puncto Nachhaltigkeit bei den Fischbeständen größere Risiken einzugehen. Nachdem es seine eigenen politischen Ambitionen mit dem britischen Fischereigesetz bereits reduziert hatte, begann Großbritannien die Gespräche mit der EU zum Thema Fischereien mit einer Ausgangsposition, die darauf abzielte, Sicherheitsmaßnahmen zur Nachhaltigkeit noch weiter auszuhebeln. Insbesondere möchte Großbritannien Fanggrenzen festlegen, die neben wissenschaftlichen Empfehlungen auch „sozioökonomische Aspekte“ berücksichtigen. Genau diese politische Dynamik hatte in Jahrzehnten der EU-Verwaltung die Überfischung massiv verschlimmert, bis die EU ihre Richtlinien schließlich 2013 überarbeitete.
Wird die EU dieser riskanten Haltung Großbritanniens entgegenwirken? Auf dem Papier deutet die Verhandlungsposition der EU darauf hin: Sie beinhaltet Sicherheitsmechanismen für Nachhaltigkeit, die den internationalen Übereinkommen entsprechen. Auch ist ein Protokoll für den Fall vorgesehen, dass Gespräche abgebrochen werden und die Parteien sich nicht auf jährliche Fanggrenzen einigen können. Sollte Großbritannien damit einverstanden sein, diese Sicherheitsmechanismen in die Vereinbarung aufzunehmen, ließe sich damit bei künftigen Verhandlungen zum Fischereimanagement das Risiko eines nicht nachhaltigen Fischfangs teilweise verringern. Die EU hat außerdem ihre Vorschläge für 2021 in Form eines transparenteren Ablaufs veröffentlicht, der von EU-Kommissar Virginijus Sinkevicius eingeführt wurde. Dank dieser willkommenen Maßnahme liegen die vorgeschlagenen Fanggrenzen in diesem Jahr näher an den wissenschaftlichen Empfehlungen als in früheren Jahren. Es verbleiben jedoch andere Risiken, deren Lösung die EU-Entscheidungsträger anscheinend weitaus zögerlicher angehen.
Es ist nach wie vor unklar, wie diese Gespräche durchgeführt werden sollen, wer die Positionen von EU und Großbritannien zu den Fanggrenzen vertreten soll und – noch wichtiger – wie die Verhandlungsführer beider Parteien vom eigenen demokratischen System zur Verantwortung gezogen werden können. Anhand der Gespräche der EU mit Norwegen konnte man in den letzten Jahrzehnten einen Eindruck davon erhalten, welche Risiken in Bezug auf Verantwortlichkeiten auftreten können. Die EU wird bei diesen Gesprächen von Beamten der Europäischen Kommission vertreten, wobei Beamten der Mitgliedsstaaten und Vertreter der Fischereibranche ebenfalls teilnehmen und sich in unterschiedlichem Ausmaß an den offiziellen Gesprächen beteiligen können. Andere Interessenvertreter – wie z. B. Organisationen der Zivilgesellschaft – dürfen noch nicht einmal das Gebäude betreten, wodurch sich kaum beurteilen lässt, in wessen Interesse die Entscheidungen gefällt werden.
Zwar werden die Ergebnisse letzten Endes meist von den Ministern abgesegnet, aber dennoch hat es sich in der Vergangenheit als schwierig erwiesen, die Verantwortlichen hinter diesen Ergebnissen zu bestimmen. Dies liegt zum Teil daran, dass die eigentliche Entscheidungsfindung schon weitaus früher in diesem Prozess stattfindet – hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Öffentlichkeit – und einzelne Entscheidungsträger oder Institutionen dabei keine klare Verantwortung übernehmen.
Sollten die Gespräche zwischen EU und Großbritannien nach demselben Muster ablaufen, würde dies einen deutlichen Rückschritt in Sachen Transparenz bedeuten – genau wie das britische Positionspapier, das auf die Aushöhlung bislang geltender Sicherheitsmechanismen für europäische Fischereien abzielt. Und dies könnte dazu führen, dass die Öffentlichkeit nur wenig über den eigentlichen Ablauf erfährt.
Der Internationale Rat für Meeresforschung wird nach wie vor jedes Jahr wissenschaftliche Empfehlungen zu Fanggrenzen veröffentlichen. Mehrere Monate später werden dann die Verhandlungsführer der EU und Großbritanniens bekanntgeben, dass sie sich entweder auf die Fanggrenzen für das nächste Jahr einigen konnten – oder dass keine Einigung möglich war. In der Zeit zwischen diesen beiden Ereignissen dürften kaum Informationen darüber nach draußen dringen, welche Ziele unsere gewählten Entscheidungsträger in den Verhandlungen über das gemeinsame Management verfolgen.
So kann es z. B sein, dass für die überwiegende Mehrzahl der Bestände keine Vorschläge von der EU-Kommission vorliegen, oder die britische Regierung könnte beschließen, gewisse Informationen zu den eigenen Gesprächszielen nicht zu veröffentlichen. Möglicherweise werden wir erst dann von abgeschwächten Schutzmaßnahmen für Fischbestände erfahren, wenn die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen längst gelaufen sind. Diese Szenarien verstoßen gegen die internationalen Zusagen, die die EU und Großbritannien mit der Unterzeichnung der Aarhus-Konvention getroffen haben, welche einen öffentlichen Zugang zu Informationen und zur Entscheidungsfindung vorsieht.
Das Risiko der Überfischung ist nicht von der Hand zu weisen, insbesondere dann, wenn die Parteien das EU-Norwegen-Modell übernehmen, bei dem nur eine ausgewählte Gruppe von Interessenvertretern im Verhandlungszimmer zugelassen ist, um ihre Prioritäten durchzusetzen. Und solange die EU und Großbritannien keinerlei Schritte unternehmen, um die Transparenz ihrer Entscheidungsfindung zu gewährleisten, wird die Glaubwürdigkeit der Fischereipolitik erneut darunter leiden.
Internationale Verhandlungen sind heikel und können nicht immer im Licht der Öffentlichkeit stattfinden. Werden aber Management-Vorschläge nicht bekanntgegeben und die Ziele nicht öffentlich diskutiert, muss von nicht nachvollziehbaren „Deals hinter den Kulissen“ ausgegangen werden. Die Öffentlichkeit wird dann wieder einmal darüber im Unklaren bleiben, wie nachhaltig beide Fischereien jeweils sind und wer eigentlich dafür verantwortlich ist.
Andrew Clayton leitet die Bemühungen der Stiftung „The Pew Charitable Trusts“, die Überfischung in Nordwesteuropa zu beenden.